Verantwortung

Dieses Essay beschäftigt sich mit der Frage nach der Verantwortung. Als maßgebendes Beispiel beginne ich mit der Verantwortung für eine Schusswaffe. Die Länder der Erde haben verschiedene Waffengesetze und kulturelle Umgänge mit Waffen. Herausstechend sind die Unterschiede der Länder Deutschland, Vereinigte Staaten von Amerika und der Schweiz. Während es in der Schweiz und in den USA normal ist, ein Waffe zu besitzen, in der Schweiz sogar teilweise geboten, ist das besitzen von Waffen in Deutschland sehr reguliert und im zivilen Bereich hauptsächlich auf Jagdausübende beschränkt.

In der Schweiz gibt es mehr Waffen pro Einwohner als in den USA, trotzdem ist die Chance in der Schweiz von jemandem mit einer Schusswaffe getötet zu werden, sehr viel geringer als in den USA. Was nicht nur auf ein Verfügbarkeitsproblem hinweist, sondern eher auf ein kulturelles Problem. Etwa, dass Menschen in den USA, grob gesagt, schneller zur Waffe greifen oder dass die sozialen Gegebenheiten in den USA Menschen häufiger in die Verzweiflung treiben als in der Schweiz. Wer weiß.

Allein diese Erkenntnis addiert eine enorm hohe Komplexität zu dem Thema der Verantwortung für eine Schusswaffe. Ich weiche hier von dieser Komplexität vorerst zurück und halte mich an ein paar klare und simple Punkte. Folgende Liste mit vier Rollen möchte ich vorstellen, wenn es um Verantwortung für den Schusswaffengebrauch geht und gleichzeitig klar machen, dass die Liste beliebig verlängert werden kann, wodurch klar werden sollte, dass wir alle miteinander verbunden sind und alle eine gewisse Verantwortung füreinander haben.

Die Quadriga der Verantwortung

  1. Rahmengeber / Gesetzgeber

Der Rahmengeber ist die Person, welche den Bau, Besitz und Gebrauch von Schusswaffen jeweils entweder erst einmal erlaubt oder verbietet und dann diese Entscheidung entsprechend reguliert. Im Staat ist dies der Gesetzgeber, mit seinen Hilfsorganen der Judikative und Exekutive.

  1. Hersteller / Designer

Der Hersteller ist die Person, welche die Waffe baut. Am Herstellungsprozess können je nach Produkt eine Unmenge an Leuten, die überall über den Globus verteilt sind, beteiligt sein. Eine Waffe muss designed werden, sie braucht Materialien wie Stahl und Schießpulver und jemanden, der aus den Materialien das Produkt fertigt.

  1. Verkäufer / Händler

Der Händler sorgt während des Herstellungsprozesses dafür, dass die Materialien für die Waffe von einem Punkt zum nächsten kommen. Händler bringen Stahl zum Hersteller und Waffen vom Hersteller zum Verkäufer. Händler und Hersteller können die gleiche Person sein. Der Verkäufer ist der letzte Punkt in der Kette bevor die Waffe an den Verbraucher geht.

  1. Verbraucher / Besitzer

Das letzte Glied in der Quadriga ist der Verbraucher, der Besitzer der Waffe. Er ist die Person, die den Abzug zieht.

Wenn ein Lebewesen mit einer Schusswaffe getötet wird, sind alle diese vier Personen in den Akt der Tötung involviert. Der Waffennutzer ist nur die offensichtlichste Person, die Verantwortung übernehmen muss. Es ist klar, dass Gesetze und Rahmenbedingungen das Verhalten der Menschen entsprechend mitbestimmen und steuern, währe dies nicht der Fall, müsste es keine Gesetze geben. Es ist klar, wenn niemand eine Schusswaffe herstellt, wird auch niemand mit einer Schusswaffe getötet. Es ist klar, wenn niemand eine Schusswaffe bekommt kann, wird niemand mit einer Schusswaffe getötet und es ist klar, wenn niemand eine Schusswaffe besitzt, wird niemand jemanden mit einer Schusswaffe töten.
Das ist die Quadriga der Verantwortung.
Wir sind alle miteinander Verbunden.

Verantwortung und neue Technologien

Ein Problem mit der Verantwortlichkeit sehen wir im 20. und 21. Jahrhundert, wenn es um die Erforschung neuer Technologien geht. Alfred Nobel erfand das Dynamit. Eine Entdeckung die ihm später Kopfschmerzen bereitete, als er merkte, für welche Zwecke seine Erfindung benutzt werden könnte. Eine krassere Situation stellt die Erfindung der Atombombe dar, welche Physiker mit erfanden, welche sich später stark gegen die Atombombe aussprachen. Zu spät.

Friedrich Dürrenmatt parodiert solcherlei geschichtliche Ironie in seinem Lehrstück "Die Physiker". Im 21. Jahrhundert sind wir an dem Punkt angelangt, an dem junge Menschen mit leicht zu bekommenden Ressourcen, ein Rechner und das Internet, zu Erfindern werden können. Facebook wurde nicht von 50 jährigen Wissenschaftlern erfunden, sondern Mark Zuckerberg war 20 Jahre alt, als Facebook das Licht der Welt erblickte. Jahre später diskutieren wir, ob Facebook Donald Trump dazu verholfen hat, Präsident zu werden und ob Facebook die Menschen vereinsamt.

Junge Menschen tun sich schwer vorausschauende Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen. Eine der nächsten großen technologischen Revolutionen, und gerade bereits im Gange, wird der künstlichen Intelligenz zugeschrieben. Der Wissenschaftler Nick Bostrom, welcher unter anderem für die Vereinten Nationen als Berater in Fragen KI agiert, schafft Wahrnehmung dafür, dass künstliche Intelligenz tendenziell so machtvoll und unberechenbar sein kann, dass wir als Menschen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen müssen. Keine Nachsichtsmaßnahmen. Das heißt, in die Technologie muss schon vor ihrer Fertigstellung ein gewisser Rahmen an "falls was schief geht"-Mechanismen eingebaut werden, um sicherzustellen, dass künstliche Superintelligenzen nicht anfangen, die Menschheit zu vernichten.

Kurios an der Menschheit ist, dass sie die Erforschung neuer Technologien als unausweichlich und im digitalen Zeitalter als göttliche Gegebenheit ansieht, die nicht hinterfragt werden kann. In wenigen Jahren wird mit hoher Wahrscheinlichkeit das autonom fahrende Auto in Serie gehen. Ein wichtiger Meilenstein in der Erforschung der künstlichen Intelligenz. Wir alle wissen, dass dadurch etliche professionelle Fahrer, wie etwa Taxifahrer und Lastkraftwagenfahrer arbeitslos werden könnten. Wir alle wissen, dass diese neuen Technologien die ganze Gesellschaft umgestalten können.

Permanent verschwinden heutzutage alte Jobs und es entstehen neue. Sich permanent neu zu erfinden ist der Ruf der Zeit. Scheinbar kann man nur so sicher stellen, dass man in 10 Jahren noch Arbeit hat. Ein kleines Kontingent an Menschen verändert die ganze Gesellschaft permanent. Es handelt sich nicht um einen demokratischen Prozess. Ein paar Menschen mit finanziellen und intellektuellen Ressourcen können in der heutigen Korporatokratie machen, was sie wollen.

Mir fällt auf anhieb niemand in meinem Umfeld ein, der mit voller Inbrunst sagen kann, dass er sich auf das autonome Auto freut und den Tag herbei sehnt, an dem es denn endlich verfügbar ist. Wahrhaftig habe ich häufig Momente, in denen ich mir wünsche, dass ich das Lenkrad jetzt loslassen könnte, um entspannt andere Dinge zu tun, während ich auf der anderen Seite fest daran glaube, dass die Automatisierung auch immer ein Verlust am Gefühl des "In der Welt seins" mit sich bringt. Ich mache die Dinge gerne selbst. Zugegebenermaßen aber nicht alle Dinge.

Fakt ist, dass das autonome Auto von Firmen auf die Welt gedrängt wird und der Rest der Menschheit, und auch die Politik, machtlos und stimmenlos der Erfindung dieser neuen Technologien gegenüber stehen. Es soll hier nicht gemeint sein, dass das autonome Auto schlecht sei, sondern dass das autonome Auto kommt, dass es die Gesellschaft verändert, wir wissen noch nicht ganz wie und das diese Dinge als gegeben angesehen werden, die unaufhaltbar sind. Wahrhaftig sind sie dadurch auch unaufhaltbar.

Selbst wenn die Internetkonzerne und Autohersteller sich plötzlich entscheiden die Forschung am autonomen Fahren einzustellen, ist es so, dass ein paar begabte Menschen bereits in ihrer Garage ihr Auto für autonomes Fahren umgerüstet haben. Der Fortschritt ist wahrhaftig nicht aufhaltbar. Es gibt zu viele intelligente Menschen.

Fortschritt ist natürlich kein Problem. Wahrlich kann Fortschritt das großartigste Sein, was uns passieren kann. Das Problem ist der unreflektierte Fortschritt, bei dem plötzlich, wie ausversehen, die Atombombe heraus kommt. Der Fortschritt bei dem Technologien entstehen, die extrem gefährlich sind. Es ist klar denkbar, dass die Atombombe nicht das gefährlichste ist, was wir als Menschen erschaffen können. Deswegen müssen Forscher Verantwortung übernehmen. Deswegen müssen sie vorausschauend forschen und sich fragen, was diese Technologie bedeuten könnte und was mit ihr passieren könnte. Alfred Nobel musste erkennen, was sein Sprengstoff anrichten kann.

Wir müssen alle Verantwortung übernehmen, für das, was wir tun.

Joseph Bartz
2018