Low Sugar Practice

Über Low Sugar Practice ist Folgendes zu sagen:

Was ist es?
Zucker ist metaphorisch gemeint. Die Süße des Zuckers löst ein sofortiges Belohnungsgefühl aus, sobald er unsere Zunge berührt. Entsprechend gerne essen wir Zucker. Das Problem mit dem Zucker ist, dass er uns von anderen Nahrungsmitteln, die weniger verführerisch sind, ablenkt. Gerade bittere Nahrungsmittel können sich durch zu hohen Zuckerkonsum noch bitterer anfühlen und dadurch im Extremfall sogar aus unserer Ernährung verschwinden.

Low Sugar Practice (LSP) hat folgende Merkmale:
A1) Es ist ein längerer Prozess. Das Ziel ist nicht schnell erreichbar. Es braucht Zeit.
A2) LSP hat oft kein festes Endziel, sondern stattdessen Meilensteine. Bei dieser Form ist man nie wirklich vollendet. Entsprechend gibt es keinen Endgegner, den man irgendwann besiegt.
A3) LSP hat entweder Gratifikation mit hohen Zeitabständen oder häufigere Gratifikation, welche jedoch wenig „Zucker“ beinhalten. In der Realität ist es ein Mix aus beidem.

Wie mache ich LSP
B1) LSP kann viele verschiedene Unternehmungen beinhalten. Die Punkte A1 bis A3 helfen zur Orientierung. Dabei sollte man für erhöhte Schwierigkeit schauen, wo die eigenen Fertigkeiten und Talenten liegen und dann möglichst fern von diesen bleiben. Wer mehr mentale Stärke besitzt, kann weiter von seinen Talenten weggehen.

B2) Hier sind einige Standard-Beispiele für LSP.
Es gilt: Der Grad an LSP-Haftigkeit hängt wie in B1) angedeutet vom Grad des Talents und des schon vorhanden Trainings in der entsprechenden Unternehmung ab.



B3) generell können alle möglichen Dinge im LSP-Stil praktiziert werden. Was zählt, ist die Herangehensweise. Man muss sich einfach Sachen rauspicken, die länger dauern, das ist die grundlegendste Sache im LSP.

B4) LSP hat verschiedene Varianten:
Variante 1:
Dauert lange und ist schwierig. Gratifikation ist vorhanden.
Ein Beispiel ist der Handstand. Es dauert Monate ihn zu lernen. Es ist schwierig, ihn zu lernen. Man muss intelligente Lern- und Trainingsmethoden anwenden. Es gibt Gratifikation immer wieder, wenn man ein neues Level freigeschaltet hat. Zum Beispiel 10 Sekunden stehen. 60 Sekunden stehen. Einarmig 10 Sekunden stehen.
Ein Musikinstrument zu lernen, fällt auch in diese Kategorie. Die Gratifikation kommt hier beim fehlerfreien Interpretieren eines Stücks oder beim Flow im freien Spiel.

Variante 2:
Dauert lange, ist leicht. Gratifikation ist vorhanden.
Solche Unternehmungen können oft langweilig sein. Gleichzeitig kommt hier das meditative ins Spiel. Beispiele sind lange Autofahrten, das Feld bestellen, Aufräumen, Wanderungen, Maurern etc.
Diese Tätigkeiten sind anstrengend, aber in dem Sinne nicht schwierig, da kein Rätsel zu lösen ist. Entsprechend findet kein Leveln wie bei Variante 1 statt. Jedoch kann die Qualität der Ausführung der Tätigkeit verbessert werden. Es wird also keine neue Fertigkeit erarbeitet, sondern vorhandene Fertigkeiten qualitativ entwickelt. Ein Flow ist entsprechend auch hier erreichbar. Außerdem sind die beispielhaft genannten Tätigkeiten alle Tätigkeiten, bei denen ein Ziel erreicht wird. Es kann also wieder Gratifikation auf zwei Ebenen geben: durch das Erreichen des Ziels und durch das aufgehen im Moment.

Variante 3:
Dauert lange. Gratifikation ist nicht vorhanden.
Variante drei ist eine Sondervariante. Ein Beispiel wären quasi sinnlose Aufgaben wie das stundenlange Zählen von Reis Körnern, ohne irgendetwas mit der Information anzufangen.
Im Vergleich zu Variante 1 und Variante 2 gibt es also keine Pointe. Es wird im Endeffekt nichts erreicht. Wenn man drüber nachdenkt, passiert natürlich etwas. Man schult seine Fähigkeit, einfach zu machen, ohne den Sinn zu bewerten. Dies kann das Durchführen von Variante 1 und Variante 2 unterstützen. Im Endeffekt ist die Sinnhaftigkeitsbewertung natürlich ein wichtiger Filter, dieser springt bei vielen Leuten aber zu schnell an, gerade wenn keine Instant Gratification vorhanden ist. Diese Menschen verwechseln Sinn mit Lust.

B5) LSP lässt sich immer auch dann praktizieren, wenn innerhalb unserer Arbeit und unseres Trainings die Möglichkeit besteht, zwischen Schwierigem und Einfachem zu wählen. Bzw. zwischen kurzen Sachen und langen Sachen. Beispielhaft ist hier, wenn man merkt, dass man auf seiner To-do-Liste die einfachen Dinge auswählt und einen Bogen um die Sachen macht, auf die man weniger Lust hat. LSP wäre hier z. B. die To-do Lite chronologisch abzuarbeiten, anstatt nach Lust. Oder mit den schwierigen Dingen anzufangen.
Selbstbeobachtung ist hierfür unerlässlich.

Warum mache ich LSP?
Wie schon eingängig beschrieben, geht es bei der LSP um unseren Geist. Durch die Fähigkeit Langeweile, Frustration und die dadurch gefühlte Sinnlosigkeit auszuhalten, gewinnen wir Handlungsfreiheit. Das Schwere wird möglich für uns. LSP ist die Gegenmaßnahme zu unserer Vorliebe des Geistes, das schnelle und einfache und die sofortige Gratifikation vorzuziehen. Erfahrene Low Sugar Practitioners entwickeln die Lust am Tun, am Essen von Bitterem.
Am sein in der Wüste oder im Winter.

Joseph Bartz
11.10.2020